30.06.2024 | Berlin
Im Zuge der aktuell anstehenden Neugründung eines Berliner Landesinstituts für Lehrkräftebildung wird eine engere Verzahnung von Fort- und Weiterbildung mit der Ausbildung von Lehrkräften diskutiert. In seiner Positionierung formuliert der Vorstand des Berliner Landesverbandes des Bundesarbeitskreises Lehrkräftebildung (bak) Forderungen in Bezug auf Chancen und Erfolgsvoraussetzungen einer Reform des Vorbereitungsdienstes.
Die Reform eines etablierten Systems bedarf in umso größerem Maß der Begründung, je mehr Umfang und Tempo der Veränderung als Teil von deren Zielsetzung betont werden. Nun liegen allerdings Belege für bemerkenswerte und drängende Defizite des Berliner Vorbereitungsdienstes – sowohl aus Sicht der Auszubildenden als auch aus der Perspektive einer wissenschaftlichen Begleitung (wissenschaftliche Expertenkommission zur Bildungsqualität/Köller-Studie, 2020) – nicht vor.
Auch hinsichtlich der „gefühlten“ Qualität der Ausbildung genießt der Berliner Vorbereitungsdienst bundesweit ein hohes Ansehen und erfährt auch innerhalb der Berliner Schullandschaft überwiegend positive Rückmeldung.
Wenn aber aus abweichenden Erwägungen – angestrebte Synergien mit der aktuell ohnehin zu reformierenden Fort- und Weiterbildung, politisch begründete Einsparungswünsche auf finanzieller bzw. personeller Ebene, quantitative Herausforderungen durch Lehrkräftemangel und sinkende Attraktivität des Lehrkräfteberufs – Veränderungen am System Ausbildung zur Diskussion stehen, sind natürlich sehr wohl Optimierungen hinsichtlich der Effizienz, Kohärenz und Passung zur ersten und dritten Phase vorstellbar.
Die folgenden Überlegungen können dabei nicht als Stellungnahme zu den immer noch wenig belastbaren Informationen über den Planungsstand des neuen Landesinstituts dienen. Abgesehen von der bloßen Tatsache der notwendigen Gründung eines Nachfolgeinstituts für das LISUM verfügen wir – wie die Öffentlichkeit insgesamt – derzeit über keine konkreten und verlässlichen Aussagen zu dessen Struktur und Aufgabenzuschnitt.
Insofern folgt dieses Papier der stärker grundlegenden Fragestellung nach den grundsätzlichen Chancen einer solchen Institutsgründung und in der Folge derjenigen nach den Voraussetzungen für deren Erfolg.
Welche Chancen könnte ein Berliner Landesinstitut für Lehrkräftebildung (BerLi) nach unserem derzeitigen Kenntnisstand eröffnen?
Zu nennen sind etwa:
– die Ausgestaltung und Lenkung einer zeitgemäßen Lehrkräftebildung im Kontext der Bedürfnisse des Stadtstaates Berlin. Letztere schließen die Umsetzung eines inklusiven Schulsystems ebenso ein wie die nachhaltige Gewinnung von Lehrkräften durch eine Stärkung der Attraktivität des Lehrberufs.
– die Möglichkeit, mit eigenen Ressourcen (Personal und Budget) unabhängig und flexibel auf diese Bedürfnisse zu reagieren.
– die Überführung der bisher nebeneinander bestehenden Strukturen in ein integriertes Konzept, das die Aus-, Fort- und Weiterbildung verbindet und das mit einer im Landesinstitut entwickelten und durch das Landesinstitut zu implementierenden Strategie unterlegt ist.
– die Entwicklung eines Curriculums, in dem die aktuellen Ansätze von Professionsforschung und der systemischen Bildungsforschung konsequent berücksichtigt werden.
– eine Verstärkung der Lehrkräftebildung zur Umsetzung eines auf Zukunftsfähigkeit abzielenden nachhaltigen Bildungsauftrages für alle Lehrkräfte, der die Entwicklung der Basiskompetenzen in einzelnen Fächern sowie in zentralen Querschnittthemen (wie Demokratiebildung, Sprachbildung, Medienbildung) umfasst.
– die Systematisierung einer verpflichtenden und fortlaufenden Qualifizierung und Evaluation aller an der Lehrkräftebildung beteiligten Personen, die die Aktualität und Wirksamkeit der verfolgten Konzepte sicherstellt.
– die Berücksichtigung der heterogenen Unterrichtsbedingungen an Berliner Schulen und der unterschiedlichen Voraussetzungen, mit denen die Aus-, Fort- und Weiterzubildenden ins Berliner Bildungswesen kommen, durch Gestaltung von Pflicht- und Wahlpflicht-Modulen und offenen Wahlmöglichkeiten.
– die engere Begleitung der Aus-, Fort- und Weiterzubildenden in ihrem Unterricht durch explizit damit beauftragte und dazu qualifizierte Lehrkräfteausbilder/innen.
– eine verstärkte Verzahnung der Fort- und Weiterbildung mit Schulentwicklungsprozessen in den Schulen.
– eine systematische Kooperation und Vernetzung mit Kooperationspartnern aus der 1. Phase sowie aus dem außerschulischen Bildungsbereich.
Welche Voraussetzungen sind für die effektive Entfaltung dieses Potenzials in der Berliner Bildungs-, Schul- und Ausbildungspraxis für den BAK Berlin unabdingbar?
– Grundsätzlich muss der Ausbildungscharakter des Vorbereitungsdienstes gewahrt bzw. wiederhergestellt werden.
– Die Ausbildung als professionsbezogene Entwicklungsaufgabe braucht Zeit und Reflexionsgelegenheiten. Unterrichten wird eben nicht durch alleiniges Unterrichten gelernt. Eine von dieser Erkenntnis entkoppelte Verkürzung oder Verdichtung der Ausbildung führt nachgewiesenermaßen (vgl. Berlin 12 Monate im L-Bereich und Brandenburger Modell) zu Negativeffekten. Sachgerecht kann dagegen eine weitergehende Flexibilisierung – neben der Möglichkeit zur individuell bemessenen Verkürzung auf 12 Monate auch die Verlängerung auf 24 Monate sein. Eine Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung der Auszubildenden (grundständige LAA) oder Beibehaltung der zu hohen Unterrichtsverpflichtung (bbVD) läuft einer hohen Ausbildungsqualität grundsätzlich zuwider.
– Beständige und professionell begleitete Lerngemeinschaften in Ausbildungsseminaren sind die Voraussetzung für eine stabile Befähigung zur Bewältigung dieser Entwicklungsaufgabe in der schulischen Praxis der Folgejahre. Der Wert von Kooperation im Lehrberuf muss schon im Vorbereitungsdienst erfahrbar sein.
– Heterogen zusammengesetzte Seminargruppen (herkunftsbezogene und bildungsbiographische Kontexte, vielfältige Fach-, Schul-, Schulformen- und Schulstufenprovenienzen) entsprechen der Berliner Schullandschaft und bilden nachhaltig für deren Gestaltung in der beruflichen Praxis aus. Deren unverzichtbare Basis wird gelegt in der sich verstetigenden Erfahrung des Austauschs über Bedürfnisse, Bedarfe, Ressourcen, Reflexionen und Schulentwicklung.
– In der Anknüpfung an die 1. Phase muss die Zielsetzung insbesondere der 2. und der 3. Phase sein, Erfahrungswissen zu erwerben, um aus diesem wissenschaftsbasiert und reflektiert Professionskönnen zu generieren.
– Insbesondere für fachliche Qualifikation der Lehrkräfteausbildenden bezüglich der Querschnittsthemen, müssen verlässliche Kooperationen mit Universitäten eingegangen werden können.
– Das Berliner Landesinstitut muss die Zuständigkeit erhalten, die Aus-, Fort- und Weiterbildung in rechtlicher und organisatorischer Hinsicht auch auf Schulebene zu steuern und zu begleiten, um die übergeordneten Ziele der Lehrkräftebildung sicherzustellen.
– Die intensiv entwickelte Expertise von Mentor*innen im Praxissemester, Fachseminarleiter*innen und Seminarleiter*innen sollte für den Gründungs- und Ausgestaltungsprozess des Berliner Landesinstitutes nutzbar gemacht werden.
– Die von allen zukünftig an der Lehrkräftebildung Beteiligten (Lehrkräfte, SemL, FSL, SchL) zu absolvierenden regelmäßigen Qualifizierungen sind angemessen mit Ermäßigungsstunden bzw. Freistellungen abzusichern.
– Insbesondere die Begleitung und Beratung im Ausbildungsunterricht und/oder im kollegialen Unterrichtscoaching muss durch fachlich dafür qualifizierte Fachseminarleitungen und/oder Ausbildungslehrkräfte erfolgen, die eng in systematische Qualifizierungsprozesse des Berliner Landesinstitutes eingebunden sind. Eine ausreichende Ausstattung mit effektiv gebundenen Ermäßigungsstunden, die sich an der Zahl der zu betreuenden Lehramtsanwärter*innen orientiert, ist dafür unabdingbar.
– Gerade in der zweiten Phase müssen weiterhin Ausbildungs- und Prüfungsformate vorhanden sein, die den Wert kooperativer Arbeitsformen zwischen Lehrkräften ausbildungspraktisch verankern.
Fazit
In inhaltlicher Hinsicht hat das Berliner Landesinstitut das Potenzial, eine Lehrkräftebildung „aus einem Guss“ zu gestalten. Voraussetzung sind allerdings, stärker als die Modularisierung, die für eine Vernetzung der drei Phasen funktional sein kann, effektive organisatorische Strukturen. Sollte die bisherige Struktur von Regionen, Seminaren und Fachseminaren zugunsten von anderen Teamstrukturen aufgelöst werden, so bedarf es eines umfangreichen, verbindlichen und fortlaufenden, durch das BerLi zu steuernden Qualifizierungs- und Monitoringprogramms, das bis in alle Berliner Schulen hineinreicht und das mit entsprechenden Ressourcen nachhaltig und stabil ausgestattet werden muss. Andernfalls droht die Gefahr, dass bisherige Ausbildungsstrukturen wegfallen, ohne dass effiziente und kohärente Strukturen (vor Ort, regional oder zentral) ihre Funktion gewährleisteten.
Die Institution eines BerLi hat angesichts der Bedeutung von Bildung ihre Legitimität allein in einem Mehr an Kohärenz und Effizienz für die Qualität der Lehrkräftebildung. Ohne diese ist eine Steigerung von Unterrichtsqualität und Schulleistungsergebnissen nicht zu erreichen. Der Reformansatz kann insofern seinen Ausgangspunkt nicht bei der Rückführung von Unterrichtsstunden an die Schulen nehmen. Unbenommen ist, dass diese als Nebeneffekt der Reform begrüßt werden kann, solange durch sie eine qualifizierte Lehrkräftebildung nicht gefährdet wird.
Der BAK vertritt die Ansicht, dass die Entwicklung von Kooperationskompetenzen in der Lehrkräfteausbildung eine größere Rolle spielen muss.
Die zentrale Chance in der Gestaltung des neuen Berliner Landesinstituts besteht darin, ein Kompetenzzentrum für (sonder)pädagogische, technische und technopädagogische Innovationen zu schaffen, durch das die Qualität des lebenslangen Lernens gesteigert und insgesamt besser auf die anstehenden gesellschaftlichen Herausforderungen und Krisen reagiert werden kann.
In einem solchermaßen als Berliner Kompetenzzentrum für Lehrkräftebildung verstandenen Landesinstitut kommt dem Auf- und Ausbau wirksamen Handlungswissens durch die bisher in der Ausbildung Tätigen zentrale Bedeutung zu.
Der BAK-Landesverband Berlin wird den Gründungsprozess und die Ausgestaltung der Strukturen des neuen Landesinstituts konstruktiv und kritisch begleiten.
Kathrin Pelzer Karina Denkert Dr. Wulf Wäntig Andreas Wolff Jörg Ziegenhagen